Tel Aviv, 11.2.2009
- Das Menü steht fest: Die einzige Frage ist, wer als Vorspeise, wer als Hauptspeise und wer als Nachspeise serviert werden wird.
(Amir Oren: En route to a triumvirate, in: Haaretz, Feb. 10, 2009) - Werden diese Wahlen schicksalhaft sein? Offensichtlich werden sie das sein. Schließlich ist hierzulande alles immer schicksalhaft.
(Shlomo Artzi, israelischer Sänger und Komponist: Election Day thoughts, in: Israel News: Ynetnews, 10.2.2009) - Wählen in Israel ist wie viele andere gefährliche Aktivitäten. Es tut überhaupt nicht weh, wenn man es tut. Aber am nächsten Morgen...
(Bradley Burston: Live Election Blog, in: Haaretz, 10.2.2009)
Das Wetter
Welchen Einfluss das Wetter auf die Wahl hatte, wird wohl noch lange diskutiert werden. Am Tag vor der Wahl erlebte das Land eine Hitzewelle mit heißer Luft aus dem Sudan, die das Thermometer in Tel Aviv bis auf 30 Grad ansteigen ließ. Doch schon am Nachmittag setzte Abkühlung ein, und der Wahltag war geprägt durch ein aus Italien stammendes Tiefdruckgebiet mit Regen, Sturm, Hagel und zuweilen Aufheiterungen bei insgesamt wesentlich kühleren Temperaturen. Der Vertreter einer ultraorthodoxen Partei hatte schon vor der Wahl erklärt, dass das Wetter die Wähler seiner Partei nicht abhalten würde – die Teilnahme an der Wahl sei ein religiöses Gebot. Auf solche Gewissheiten wollte sich der Minister für innere Sicherheit, gleichzeitig Wahlkampfleiter von Kadima, lieber nicht verlassen: Er bestellte vorsorglich 10.000 Regenschirme.Das Ergebnis
Die Likud-Partei von Benjamin Netanyahu, nach ihrem Absturz bei den Wahlen 2006 lange Zeit als absoluter Favorit gehandelt, musste sich mit Platz zwei zufrieden geben. Tzipi Livni und ihrer Kadima-Partei gelang es, die meisten Stimmen zu bekommen. Das ist durchaus erstaunlich, zumal in dem so kurz nach dem Gaza-Krieg von Sicherheitsfragen bestimmten Diskurs. Netanyahu und der Vorsitzende der Arbeitspartei, Ehud Barak, hatten stets betont, dass sie mit ihren Erfahrungen besser geeignet seien, das Land in diesen schwierigen Zeiten zu führen, als (Frau) Livni.Zum Erfolg von Livni haben zahlreiche Wähler und vor allem Wählerinnen beigetragen, die unter anderen Umständen die Arbeitspartei oder Meretz gewählt hätten. Sie entschieden sich jedoch unter der Devise „Bloß nicht Netanyahu“, Kadima ihre Stimme zu geben in der Hoffnung, damit eine Regierung mit Netanyahu als Ministerpräsident zu verhindern. Dieses taktische Wahlverhalten kann nun leicht nach hinten losgehen. Es ist nämlich durchaus möglich, dass Livni trotz ihres numerischen Sieges über Likud nicht diejenige sein wird, die von Staatspräsident Shimon Peres mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wird. Tzipi Livni erklärt zwar, dass die israelische Bevölkerung eindeutig ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht habe, von einer Ministerpräsidentin Livni regiert zu werden. Doch Netanyahu argumentiert ebenso eindeutig, dass die Wahlbevölkerung zum Ausdruck gebracht habe, dass sie von einer Regierung des nationalen Lagers regiert werden möchte, und dieses Lager habe unter seiner Führung die Mehrheit.
Zu diesem nationalen Lager zählt vor allem auch die Partei Yisrael Beteinu von Avigdor Lieberman. Sie hat zwar nicht so stark hinzugewonnen, wie manche Umfragen vor der Wahl vorhergesagt hatten. Aber sie hat die Arbeitspartei überrundet und ist insgesamt drittstärkste Partei geworden. Die Partei wird zunehmend auch von Israelis gewählt, die nicht aus Russland eingewandert sind. 2006 waren ein Drittel der Wähler keine russischen Immigranten, jetzt ist es bereits die Hälfte. Da Yisrael Beteinu primär auf anti-arabische Ressentiments setzt, wird diese Entwicklung von liberalen und linken Israelis mit großer Sorge beobachtet. In der Auseinandersetzung, wer von Staatspräsident Peres den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt, buhlen nun sowohl Livni wie Netanyahu um die Zustimmung von Lieberman. Selbst wenn es am Ende zu einer Regierungskoalition kommen sollte, der Lieberman nicht angehört, so bringt die gestiegene Zustimmung für ihn doch einen Trend innerhalb der israelischen Gesellschaft zum Ausdruck, der für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen jüdischer Mehrheit und nicht-jüdischer Minderheit nichts Gutes verheißt.
Arbeitspartei und Meretz sind die Wahlverlierer
Die eindeutigen Verlierer der Wahl sind die Arbeitspartei und Meretz. Die Arbeitspartei sackte auf ein historisches Tief von 13 Sitzen ab. Letztlich hat ihr also auch der Gaza-Krieg, der die Umfragewerte zwischenzeitlich wieder wachsen ließ, nicht viel geholfen. Allzu unklar war ihr Profil, allzu stark der Eindruck, dass diese Partei bereit ist, in jeder Regierungskoalition mitzuwirken, nur um an der Macht zu bleiben. Doch auch das Scheitern von Ehud Barak als Ministerpräsident im Jahr 2001 und das Scheitern von Baraks Vorgänger als Vorsitzender, Amir Peretz, mögen dabei eine Rolle gespielt haben.
Meretz stand wie vor drei Jahren am Wahlabend mit mageren vier Sitzen da - mit geringer Hoffnung, vielleicht nach der Auszählung der Stimmen der Soldaten noch auf fünf Sitze zu kommen. Doch es kann auch noch nach unten gehen. Laut Haaretz vom 11.2.2009 besteht sogar die Gefahr, dass Meretz nur noch mit drei Sitzen im Parlament vertreten ist. Damit wäre dann die langjährige Fraktionsvorsitzende Zehava Gal’on nicht mehr Parlamentsmitglied. Die Gründe für diese Entwicklung dürften neben der ambivalenten Haltung von Meretz zum Gaza-Krieg an dem oben erwähnten Umstand liegen, dass zahlreiche Meretz-WählerInnen sich schließlich doch entschieden, für Livni zu stimmen. . Hinzu kam der Unmut zahlreicher Meretz-Sympatisanten über das Zusammengehen von Meretz mit der „Neuen Bewegung“ aus Intellektuellen und Schriftstellern, wodurch Frauen und arabische Israelis auf der Wahlliste nach unten gedrückt wurden.
Keine der grünen Parteien hat den Einzug ins Parlament geschafft. Damit scheint klar zu sein, dass die Partei Die Grünen unter ihrem Vorsitzenden Peer Visner auf nationaler Ebene keine Rolle mehr spielt. Bei den Wahlen 2006 standen sie noch kurz vor dem Einzug ins Parlament. Jetzt scheint diese Rolle die Partei Green Movement – Meimad übernommen zu haben, in der UmweltaktivistInnen und der bisherige Abgeordnete Rabbi Melchior die führende Rolle spielen. Es sieht allerdings im Moment so aus, als hätte diese Partei diesmal die zwei Prozent Hürde nicht geschafft.
Die Befürchtung, dass die Wahlbeteiligung unter der palästinensischen Bevölkerung Israels stark zurückgehen könnte, ist nur teilweise eingetreten. Immerhin rund 50 Prozent der arabischen Bevölkerung nahm an der Wahl teil und ermöglichten den Parteien Demokratische Front, Balad und Vereinigte Arabische Liste den Wiedereinzug ins Parlament.
Rechtsruck in Israel
Außerdem kamen noch zwei kleine ultranationalistische und neben Shas eine weitere ultraorthodoxe Partei ins Parlament. Vor diesem Hintergrund kann man sicher von einem Rechtsruck in Israel sprechen. Im Bewusstsein der Wähler und Wählerinnen mischen sich dabei vor allem die beiden folgenden Denkstrukturen bzw. Narrative:
- Die israelische Seite hat im Jahr 2000 bei den Camp-David- Verhandlungen ein großartiges Angebot gemacht und nichts unversucht gelassen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Die Palästinenser im Allgemeinen und Yassir Arafat im Besonderen haben das zurückgewiesen. Also hatte man keinen Verhandlungspartner mehr.
- Die israelische Seite hat sich aus dem Südlibanon (2000) und dem Gazastreifen (2005) zurückgezogen und wurde daraufhin von diesen Gebieten beschossen.
Hinzu kommt die Erfahrung der fortgesetzten Selbstmordanschläge im Kernland Israels in den Jahren 2001-2005.
In diesem Bewußtsein ist kaum Platz für kritische Rückfragen an die israelische Politik gegenüber der Palästinensischen Autorität und gegenüber Hamas. Ebensowenig gibt es viel Platz für eine kritische Haltung zu einer Politik, die zwar verbal durchaus betont, wie notwendig oder sogar überlebenswichtig für den Staat Israel die Zwei-Staaten-Regelung ist, die aber praktisch nichts gegen, aber viel für die weitere Besiedlung der Westbank tut.
In der kommenden Woche nimmt Staatspräsident Peres Gespräche mit allen gewählten Parteien auf und wird dann entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Kommt es zu einer Regierung, der nur rechtsnationalistische und religiöse Parteien angehören, sind zunehmende Spannungen zwischen Israel und seinen Verbündeten vorprogrammiert. Doch selbst wenn es dazu kommen sollte, dass die Arbeitspartei nicht in die Opposition geht, und Livni und Netanyahu ihre Konkurrenz in den Griff bekommen, und eine Regierung aus diesen Parteien und der ultraorthodoxen Shas gebildet wird, wird von Anfang an die Frage im Raum stehen, wie lange diese Regierung halten kann. Denn sowohl zwischen wie auch innerhalb dieser Parteien gibt es gehörige Spannungen personeller und politischer Art.
So wird auch von einer solchen Regierung wenig Neues und Anderes hinsichtlich der drängenden Fragen zu erwarten sein:
- Wie weiter mit Hamas umgehen?
- Wie die Palästinensische Autorität stärken?
- Wie die Friedensinitiative der Arabischen Liga nutzen?
- Wie den Siedlungsausbau beenden?
- Wie weiter mit dem Iran umgehen?
Hinzu kommen die innenpolitischen Probleme:
- Zunehmende Spannungen zwischen der jüdischen Mehrheit und der palästinensischen Minderheit in Israel
- Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf Israel und die dort ohnehin großen, sozialen Gegensätze
- Wachsende Umweltprobleme, nicht zuletzt das Problem der Wasserknappheit nach fünf Dürrejahren
- Die ernormen Probleme mit dem Erziehungssystem
Weil auch die künftige Regierung vermutlich von Anfang an von der Frage begleitet wird, wie lange sie sich im Amt halten kann, wird vermutlich auch die Diskussion über Veränderungen im israelischen Wahl- und Regierungssystem neu entfacht werden – ohne Garantie natürlich, dass sie zu Änderungen führen wird.
Der Hintergrund
Bereits knapp drei Jahre nach den letzten Parlamentswahlen im März 2006 fanden im Februar 2009 erneut Wahlen zur Knesset statt. Hintergrund waren vielfältige Korruptionsvorwürfe gegen den bisherigen Ministerpräsidenten Olmert. Auf Druck der - der Koalition angehörenden - Arbeitspartei sowie auf Druck aus seiner eigenen Kadima-Partei erklärte Olmert Ende Juli 2008, er werde bei Wahlen innerhalb von Kadima den Weg für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin frei machen. Im September wurde Außenministerin Tzipi Livni als seine Nachfolgerin an die Spitze der Kadima-Partei gewählt. Es gelang ihr jedoch nicht, eine regierungsfähige Koalition zu bilden und so entschied sich das Parlament im November 2008 für vorgezogene Neuwahlen. Der Wahlkampf war sehr kurz, da er während des dreiwöchigen Gaza-Krieges vom 27.12. – 18.1.2009 ruhte.
Der Wahlkampf
Was lange wie ein sicherer Sieg des Likud Vorsitzenden Benjamin Netanyahu ausgesehen hatte, entwickelte sich schließlich zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Likud und Kadima.
Nicht nur Meretz, sondern auch Kadima und die Arbeitspartei machten sich Sorgen, dass unentschiedene Wähler und Wählerinnen womöglich für eine der grünen Parteien stimmen könnten. Die Grünen unter ihrem Vorsitzenden Peer Visner hatten 2006 knapp den Einzug in die Knesset geschafft. Im Zuge der auch in Israel zunehmenden Diskussion über Klimawandel war ihnen lange Zeit der Einzug in die Knesset vorhergesagt worden. Doch dann kam die Gründung der zweiten grünen Partei (Green Movement – Meimad) sowie die Unmöglichkeit beider Parteien, zusammenzugehen. Außerdem erhielt der für grüne Themen eintretende Fernsehjournalist Nizan Horowitz einen sehr guten Platz bei Meretz. Und mit dem Gaza-Krieg schließlich hatten Umweltthemen im Wahlkampf überhaupt keine Chance mehr.
Alle Parteien versuchten, die Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten zu bekommen. Am erfolgreichsten war Meretz, die von den drei großen Schriftstellern Oz, Grossman und Yehoshua ebenso unterstützt wurden, wie von der Schauspielerinnen Gila Almagor und dem Bildhauer Igael Tumarkin. Kadima konnte unter anderem die Unterstützung der Sängerinnen Dana International und Ivri Lider für sich verbuchen. Die Arbeitspartei wurde u.a. von den Schriftstellern Eli Amir, Haim Gouri und Yoram Kaniuk unterstützt. Die Sänger Moti Giladi und Boay Sharabi sowie der Rapper Subliminal setzen sich für den Likud ein. Die arabisch-jüdische Liste Chadash wird von der Sängerin Mira Awad unterstützt, die zusammen mit Achinoam Nini das Land Israel beim Eurovisionswettbewerb vertreten wird. Für die Grüne Bewegung-Meimad werben die Schauspieler Avri Gilad und die Sänger Ehud Banai und Koby Ozt. Die Schauspielerin Chani Nachmias und der Sänger Avi Bitter setzen sich für die Grünen ein.
Insgesamt verlief der Wahlkampf, der erst nach dem Gaza-Krieg richtig losging, ziemlich mühsam. Zwar waren die Städte mit zum Teil riesigen Wahlplakaten gepflastert. Doch die politischen Auseinandersetzungen verliefen oberflächlich und viele Themen hatten angesichts des dominierenden Sicherheitsthemas keine Chance. In einer Zeitung wurde ein Café-Besitzer mit der Aussage zitiert, dass man von einem Wahlkampf nichts merke, außer wenn man nachts müde nach Hause käme und durch die Fernsehkanäle zappe. Dort konnte man hintereinander die Fernsehspots aller 33 zur Wahl stehenden Parteien ansehen – eine für den nicht speziell interessierten politischen Beobachter ermüdende Angelegenheit, der sich nicht allzu viele Israelis ausgesetzt haben dürften.
Viele Wähler und Wählerinnen waren kurz vor der Wahl noch unentschieden, wen sie wählen sollen. Der Zahl der Unentschiedenen entsprachen etwa 18 Sitze im Parlament.
Die Wahl
Noch nie traten in der Geschichte Israels so viele Parteien zur Wahl an. Nachdem in der letzten Woche die Partei „Kehrtwende in der Erziehung“ mit der Begründung, der Gaza-Krieg habe ihren Wahlkampf kaputtgemacht, ihre Kandidatur zurückgezogen hatte, waren es noch 33. Die Zahl der wahlberechtigten Israelis lag bei knapp 5,3 Millionen. Die Möglichkeit einer Briefwahl gibt es nur für Diplomaten und Soldaten. Diese ca. 150.000 Stimmen werden erst am Donnerstag ausgezählt und können noch zu Verschiebungen beim Ergebnis führen. Da es ansonsten keine Briefwahl gibt, kann jeder achte Israeli nicht abstimmen: Bis zu 650.000 Israelis leben im Ausland.Wie geht es weiter?
Die Veröffentlichung des Endergebnisses kann sich bis zu acht Tagen nach der Wahl noch hinziehen. Der israelische Präsident Shimon Peres wird Anfang kommender Woche Gespräche mit allen gewählten Parteien aufnehmen und dann entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Diese Person hat dann vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden und kann dafür vom Präsidenten noch einmal zwei zusätzliche Wochen erbitten.
Jörn Böhme
Leiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung
Tel Aviv, 11.2.2009